»Schornstein, begehbar« künstlerische Arbeit im Außenbereich

05-01-r-schornstein-2000

Wettbewerb und Realisierung, 2000/2001 /
Landesamt für Umweltschutz (LfU), Augsburg /

Weithin sichtbar, wird der Schornstein zunächst im städtebaulichen Zusammenhang und nur in Verbindung mit der Architektur wahrgenommen.

Durch seine Platzierung und die genau abgestimmte Dimension wirkt er im Gesamtzusammenhang selbstverständlich, der schmale Eingang, die offensichtliche Funktionslosigkeit irritieren. Material und Farbigkeit der Mauersteine, sowie der handwerkliche Charakter stehen im Kontrast zur technischen Materialität des Gebäudes.

Die aus der Ferne, die auf den ersten Blick sich aufdrängende Eindeutigkeit des Zeichens löst sich auf.

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Material:
Ziegelmauerwerk, Radialklinker
Höhe: 36,0 m
Außendurchmesser am Schaft: 3,0 m
Außendurchmesser an der Mündung: 1,4 m
Gewicht: ca. 150 t

Bauherr:
Staatliches Hochbauamt Augsburg
Budget: 250.000 €

Günther Hacker Panick
als open system(s)
Nausikaa Hacker, Dieter Kunz, Ulrich Panick

»Früher hieß es: Die Schlote rauchen. Heute heißt es: Die Mäuse klicken.« Das sind Worte eines Finanzministers. Sie übersetzen die vorökologische Welt primärer Produktion in eine Welt, die nicht aus Ziegeln, sondern aus Informationen gebaut ist.
Schon in der Außenansicht spiegelt das Bayerische Landesamt für Umweltschutz eine Welt wider, die keine Mauer errichtet gegen ihre Um-Welt: Die Behörde legt ihre Gliederung offen; drei Riegel scheinen mit der Umgebung verzahnt, die Baukörper sind an ihrer Haut transparent.
Der Bau »atmet« zudem in besonders sparsamer Weise. Die Nutzung von Solarenergie, Aquiferspeicher, Abluftwärmetauscher u. a. zeigen, wie ein technischer Haushalt sich an das Gegenbild eines natürlichen Organismus halten kann. Ein Vorbild für andere Haushalte wurde geschaffen. Dieses Vorbild ist für den Besucher freilich nur zum kleineren Teil sichtbar; der größere, etwa die unterirdischen Rohre für das Abluftwärmetauschsystem, entzieht sich der Wahrnehmung durch das Auge. Freilich gilt auch die Arbeit des LfU dem Sichtbaren nur zum kleineren Teil. Treibhausgase etwa können wir noch weniger sehen als die Energieproduktion, die sie freisetzt.
Nausikaa Hacker, Dieter Kunz und Ulrich Panick haben das Gebäude um einen 36m hohen Schornstein ergänzt. Es ist, als hätte sich ein kranker Teil der verborgenen Anlagen der Erde entwunden und sei dem Haus über den Kopf gewachsen.
Pultdächer und ein Kamin: dieses Piktogramm weist jeden Autofahrer in ein Industrie– oder Gewerbegebiet. Das Landesamt liegt auch wirklich in der Nachbarschaft der »Verursacher«. Im Piktogramm, aber auch in der Silhouette des Gebäudes, bilden sie den gleichen Umriss. Das lichte Vorbild und das schwarze Schaf, Bild und Gegenbild: was haben sie miteinander zu tun? Als Zeichen ist der »Schornstein« aus allen Richtungen und von vielen zugleich wahrnehmbar. Dieser Blick ist nicht selten »verglast« durch Gehäuse wie Autos oder Gebäude. Man kann den »Schornstein« nutzen zur Orientierung. Oder man findet ihn leicht, will man das beschriebene Kunstwerk besuchen. Aber ohne solche Absichten bleibt er als Ready-made in der ökonomischen Landschaft verborgen, die wir zerstreut oder anders zielgerichtet durchqueren.
Wir wissen ungefähr, dass Innovation und Denkmalpflege zugleich an der »Industriearchitektur« arbeiten. Aber erst, wenn wir das Landesamt und den »Schornstein« nebeneinander vor Augen haben, sehen wir, dass diese Nachbarschaft hier kein Kompromiss, sondern eine Konstruktion ist: Beides ist neu, die drei quasi aus der Fabrik gezogenen Riegel aus Glas und Aluminium, der handgemauerte Schlot.
Solche Kamine brachen im vorigen Jahrhundert mit dem menschlichen Maß der Gebäude. Sie hatten als erste jedes Ornament eingespart. Es blieb nichts als der »rohe« Ziegel, die »reine« Form. Auch wir kennen Schornsteine, und weil wir sie kennen, sehen wir sie nicht. Dieses Gebilde, an sich minimal und minimal auch für uns, tritt hier zu einer modernen Architektur: in dieser Ergänzung wird die Einsparung zum Mehrwert. Es entspricht diesem Mehrwert, dass der Schornstein als Ready-made neu ausgeführt wird als Skulptur.
Wie der »Schornstein« »mehr wird«, mehr schon geworden ist, verstehen wir am besten, wenn wir ihn betreten und seiner Auf-Richtung folgen.
Zwei Maurer haben sich an einem Gerüst, das an den bereits gemauerten Teil gehängt war, um den Schornstein herum bewegt und ihn nach oben hin fortgeführt. Ebenso steigt der Blick des Betrachters Zylinder um Zylinder nach oben. Außen scheint die Skulptur in perfekter Serie aufgeführt. Innen aber gleitet das Licht von oben so über jeden einzelnen Ziegel, dass er nichtwiederholbar scheint. Für den eingetretenen Betrachter grenzt das offene Himmelsrund die Ferne ein, aus der man den »Schornstein« meist sieht. Der Gedanke an optische Instrumente liegt genauso nahe, wie der an ein »Transzendieren«, Hindurch- und Hinüberschreiten in das »Licht am Ende des Tunnels«.
Der »Schornstein« »ergänzt« das Bild des Landesamtes um sein Gegenbild, macht es ambivalent. Diese Platzierung, das Material und dessen Verwendung »sehen« wir besonders dann zusammenwirken, wenn wir uns selbst in den »Schornstein« hineinbegeben. Die »Umwelt« scheint bezogen auf eine Innenwelt, deren »Farbe«, deren Stimmung man so schwer vorhersehen kann, wie das wechselnde Tageslicht draußen.
Die Öffentlichkeit richtet an eine Skulptur zum Teil immer noch eine Erwartung, die in der Vergangenheit des öffentlichen Raumes ihr Recht hatte. Heute ist dieser Raum erschlossen in seiner Ausdehnung. Gleichzeitig sind die Kräfte, die in ihm wirken, dem gemeinsamen Blick freier Menschen verschlossen. Die Präsenz einer antiken Statue könnte diese Weite nicht zentrieren, die Haltung der Figur könnte die Energien, die den heutigen Raum bestimmen, nicht in sich versammeln. Dennoch haben Nausikaa Hacker, Dieter Kunz und Ulrich Panick einen Grundriss dieser Präsenz geschaffen. Und sie haben denen, die in diesen Kreis eintreten, eine gemeinsame Blickrichtung eröffnet.
Wie der »Schornstein« unvermittelt aus der Erde zu wachsen scheint, ist der Eingang zu der Skulptur wulstartig akzentuiert. Diese Betonung folgt nicht nur statischen Gründen. Der bildhauerisch freigelegte Zutritt zeigt die Möglichkeit, die Schwelle zwischen äußerer »Umwelt« und innerer Menschenwelt zu überschreiten. An dieser Schwelle vertauschen sich Subjekt und Objekt. Der »Schornstein« ist nicht nur ein Objekt im Raum. Er ist umgekehrt genauso ein Raum, der uns dazu anhält, zu dem, was um uns ist und geschieht, selber Stellung zu nehmen.
Der »Schornstein« raucht nicht und spricht nicht. Er ist eine Skulptur. Trotzdem steht er für den Gedanken, dass die Sorge um unsere Umwelt davon ausgeht, dass wir selber der Grund dafür sind, dass wir uns um die Bedingungen unserer Existenz sorgen.

Berthold Reiß